LEBEN MIT KUNST

Interview


Das Interview mit Dr. Jörg Bockow wurde geführt kurz vor der Einzelausstellung in der Galerie Linke in Münster-Wolbeck (Ende 2013 / Anfang 2014):

... abgedruckt in dem zur Ausstellung erschienenen Katalog, hier leicht gekürzt


Dr. Jörg Bockow: Du hast seinerzeit an der Pädagogischen Hochschule das Handwerk eines Künstlers von der Pike auf gelernt.

 

Es ging damals in der Hochschule viel um Techniken, um Materialien und um klassische Handfertigkeiten. Für mich stand das Malen selbst im Vordergrund. Am Ende des Studiums habe ich mit Begeisterung fotorealistisch gemalt, damals schwerpunktmäßig bei Kuno Gonschior. Für meine Examensarbeit musste ich unter anderem eine Paprika „porträtieren“ und dabei die sechs Arbeitsschritte dokumentieren. Kuno Gonschior, der später Professor an der Hochschule für Künste in Berlin war, hatte auch aufgrund seiner Begeisterung für Farben auf meine Arbeit abgefärbt. Er hatte sich nicht nur praktisch in seiner eigenen Arbeit als Maler, sondern fast wissenschaftlich mit der Wirkung von Farben, mit Wahrnehmungsphänomenen beschäftigt. Ja, ich denke, er war für meine eigene Malerei wichtig.

 

J.B.: Zwischen dem, was du damals gemalt hast und dem, was heute dein bevorzugter Stil ist, liegen Welten…

 

Stimmt. Dazwischen gab es noch eine ganz andere Phase. Neben meinem Beruf als Realschullehrerin habe ich viele Jahre als Ausgleich Aquarellbilder gemalt und Radierungen gemacht. Die entscheidende Zäsur kam 1991 als ich bei einem Unfall in Mailand während unseres Urlaubs beinahe mein Augenlicht verloren hätte. Ein Jahr lang habe ich damals gar nicht gemalt.

Als ich mich dann wieder dem künstlerischen Arbeiten widmen konnte, habe ich zuerst Collagen gemacht und dafür auf frühere  Arbeiten, also Aquarelle und Radierungen, zurückgegriffen. Ich habe die Bilder zerschnitten, neu komponiert und dann übermalt. Damit habe ich mich dem prozessorientierten Malen genähert, habe mich von dem neu Entstandenen überraschen lassen. Die Idee war: Das Neue entsteht aus dem Alten, denn mit dem Alten wollte ich abschließen.

 

J.B.: Deine freien und abstrakten Arbeiten von heute, lehnen sich offensichtlich an die Arbeitsweise des „Informel“ an. Man sieht eine künstlerische Verwandtschaft vor allem zu Emil Schumacher …

 

Ich gehe vielleicht ähnlich vor und betrachte die Arbeit ebenfalls als einen Prozess, arbeite mit dem Zufall und setze weiße und schwarze Akzente zu starken Farben.

 

J.B.: Kannst du beschreiben, wie du zu deinen Bildaussagen kommst?

 

Ich fange spontan mit einer Farbe an. Die ersten Formen, die sich auf dem Malgrund zeigen, sind ganz dem Zufall überlassen. Dann reagiere ich auf diesen Farbauftrag und finde grafische Elemente, die dazu in eine Art Spannung geraten. Es beginnt ein Prozess der Annäherung und des Experimentierens.

Ich sehe, dass etwas da ist und entsteht. Das Bild entwickelt sich aus sich selbst eine Aussage, die ich nunmehr versuche herauszuarbeiten und zu konkretisieren. Dabei hilft mir alles, was ich kunsttheoretisch weiß, über die Komposition, wie Farben sich verhalten und welche Wirkungen diese haben. Um mich dieses schrittweisen Vorgehens zu versichern, mache ich zwischendurch auch Fotos, die den Prozess dokumentieren und ihn nachvollziehbar werden lassen. Zugleich entsteht auf der Leinwand, wenn man genauer hinschaut, auch eine Dokumentation des Prozesses.

Einzelne Passagen werden übermalt. Es entstehen Strukturen. Die Untergründe scheinen durch. Wenn ich Linien mit Schwarz aufbringe, dann sieht man diese als winzige Erhebung, wenn ich mit anderen Farben lasierend darüber gehe.

Und dann gibt es irgendwann den Moment, wo ich merke, dass das Bild da ist. Der Prozess ist auf eine Art Idealzustand gerichtet, der aber nicht durch eine Konzeption oder eine Vorüberlegung bestimmt ist. Dieses Ideal entwickelt sich aus dem, was da ist.

 

J. B: Gibt es denn für jedes Bild einen solchen Idealzustand?

 

Manchmal finde ich ihn nicht oder es dauert länger. Wenn ich merke, ich komme nicht weiter, dann stelle ich das Bild auch mal beiseite und greife manchmal Tage, manchmal auch erst Jahre später darauf zurück, dann, wenn ich plötzlich eine Eingebung habe, wie es mit dem Bild weitergehen könnte. Die Vollendung eines Bildes kann also durchaus innerhalb einer Woche gelingen, was dann schnell ist. Manchmal nehme ich mir aber auch ein Bild vor, das nur scheinbar fertig ist und arbeite daran weiter. Monate – im Einzelfall auch Jahre später.

 

J. B.: Die schwarzen Linien fügen sich zu Zeichen, manchmal kann man auch Formen daraus ablesen…

 

Die Form ist als Form nicht beabsichtigt und die Bedeutung, die sich vielleicht durch Assoziationen daraus ergibt, entspringt der Fantasie des Betrachters. Sie ist ein zufälliges Ergebnis und liegt nicht in meiner Absicht.

Natürlich sehe ich auch solche Verbindungen. Offenbar muss die menschliche Wahrnehmung Zusammenhänge sehen und Erklärungen sowie Bedeutungen suchen. Was ich später beispielsweise als Vögel zu erkennen glaube, ist nicht in dem Sinne geplant und im Malprozess hat diese Assoziation auch keine unmittelbare  Bedeutung.

 

J. B.: Die Art und Weise, wie du malst, lässt dich auch die Arbeiten von anderen Künstlern mit ganz anderen Augen sehen. Dein Blick ist geschult…

 

Wenn ich Bilder von Emil Schumacher, Cy Twombly und Antoni Tàpies betrachte, die drei sind ja meine Vorbilder, dann fallen mir einige Details besonders auf, weil ich nachvollziehen kann, wie sie sich das Bild jeweils erarbeitet und der Leinwand abgetrotzt haben.

Ich sehe den Mut, den beispielsweise Twombly bei seinen Bildern gehabt hat. Nicht selten wird er wohl verlacht, seine Arbeiten werden von vielen Betrachtern als Kinderkritzeleien abgetan. Aber ich kann nachvollziehen, warum er so malt.

 

J. B.: Welche Bedeutung hat für dich der Betrachter oder ein möglicher Käufer?

 

Während ich arbeite, denke ich nicht daran. Ich male für mich selber. Aber zugegeben: Wenn Leute die Bilder mögen und sie in ihrem Umfeld aufhängen, dann freut mich das.

Es gibt auch Bilder, die ich gar nicht gerne weggebe. Dann ist es mir besonders wichtig, dass ich weiß, wo diese dann hängen.

 

J. B.: Gibt es etwas, was dir an deinen Bildern besonders gefällt?

 

Ja, die Unterschiedlichkeit, es entsteht immer etwas Neues. Kein Bild ist einem anderen zum Verwechseln ähnlich. Ich bin kein „Fließbandarbeiter“, der Endzustand eines jeden Bildes ist auch für mich eine Überraschung.

 

J. B.: Trotzdem ist deine Handschrift immer erkennbar, es sind echte Fonteins…


Dr. Jörg Bockow und Elke Fontein

2017 beim Bürgerbrunch der "Stiftung Bürger für Münster"